Als Timo die Tatort-Melodie hörte, kam die Traurigkeit: Es würde wieder ein total voller Montag werden. Mit drölfzig Meetings, aus denen es kein Entrinnen gab. Um 9 Uhr das “Status-Update Projekt Anaconda”, in dem jede Teilaufgabe der letzten Woche minutiös abgefragt wird. Direkt danach um 9:30 Uhr das Review vom “Produkt Zukunft”, bei dem die Slides noch im Meeting fertiggestellt werden. 10:30 Uhr folgt der Team-Jour Fixe, in dem niemand so recht weiß, ob es um Information, Entscheidung oder Kaffeeklatsch geht. Um 12 Uhr steht das 1:1 mit Dieter, seinem Chef, an. Es wird vermutlich wieder zu spät beginnen, Dieter wird 10 To-Dos verteilen und für Timos Anliegen wird die Zeit nicht reichen. Um 13:30 Uhr ist dann die wöchentliche Controllingrunde, in der Timo alle Zahlen bereithalten und parallel mutige Prognosen abgeben soll.
Was er Sonntag noch nicht weiß: Um 15 Uhr wird es in Teams klingeln, für den eilig angesetzten Austausch zur Roadmap fürs 3. Quartal. Was er ebenfalls noch nicht ahnt: Sein Gastauftritt im Geschäftsleitungskreis wird von 17 auf 19:15 Uhr verlegt werden. Er wird dort versuchen, seine Projektidee vorzustellen, um dann mitten im Pitch von einer Detailfrage zu den Kennzahlen völlig aus der Bahn geworfen zu werden. Um 19:32 Uhr wird er ausgehungert und mit glasigen Augen das Büro verlassen und sich am nächsten Morgen direkt an die Arbeit machen, die sieben weiteren Informationen für die nächste Geschäftsleitungsrunde aufzubereiten.
Die üblichen Empfehlungen zur Meetingeffizienz kreieren neue Probleme.
Timo ist nicht der einzige, dem es so geht. Fast die Hälfte der Befragten einer HR Works Studie empfinden die Meetings als zu lang, haben dadurch zusätzlichen Stress und 38% von ihnen sehen sich deshalb zu Überstunden gezwungen. Auch eine umfangreiche Datenauswertung von Microsoft zeigt, wie sich Meetings und Nachrichten in den Abend verlagern. Und Atlassian fand heraus, dass 78% der dort Befragten durch zu viele Meetings Probleme haben, ihre eigentliche Arbeit zu schaffen.
Bei Timo im Unternehmen wollte man dem Meetingwahnsinn mit klaren Regeln begegnen: Meetings nur noch 25 oder 55 Minuten. Kein Termin ohne Agenda. Freitags grundsätzlich keine Meetings. Nur so viele Teilnehmer*innen, dass zwei Pizzas reichen. Die Botschaft dieser Regeln war klar: Wir sehen das Problem, wollen euch entlasten und scheuen uns nicht, dafür harte Entscheidungen zu treffen.
Nun war es leider so, dass sich die Meetingwoche durch die wegfallenden Freitage verdichtete: Alles, was zu klären war, musste von Montag bis Donnerstag in den Kalender passen. Der inhaltlich wichtige neunte Teilnehmer wurde nicht eingeladen. Die kurze Meetingzeit erlaubte nur noch Symptombehandlung, für tiefergehende Diskurse und durchdachte Lösungen reichte es nicht.
Wo Arbeitsteilung herrscht, entsteht Abstimmungsbedarf.
Nicht die Meetings sind das Problem, sondern die Notwendigkeit, sich aus den verschiedenen Abteilungen heraus zu synchronisieren. Sobald ein Wertschöpfungsprozess in verschiedene Bereiche aufgebrochen wird, sind Zielkonflikte nicht weit. In der Systemtheorie nennt man das, was sich da automatisch herausbildet “lokale Rationalitäten”: Jede Abteilung optimiert sich auf Basis ihrer eigenen Ziele (Marketing will Reichweite, Produktion will Stabilität, Controlling will Kostendisziplin) und ihrer eigenen Logiken und Interessen. Diese widersprüchlichen Prioritäten zeigen sich oft erst im Zusammenspiel und ploppen gerne im Meeting auf.
Wir beobachten Symptome.
Bei genauerem Hinsehen entfachen einige der Meetings bei Timo sonntags besonders unangenehme Gefühle. Da ist zum Beispiel die Geschäftsleitungsrunde, in der seine Ideen schon öfter in der Luft zerrissen wurden. Irgendjemand findet nämlich immer etwas, das fehlt: Die entscheidende Kundeninformation oder die Datenschutzperspektive. Das liegt allerdings nicht daran, dass zu wenig Meetingregeln existieren, sondern an der Entscheidungslogik der Organisation. Soll das GF-Gremium als Kontroll-Instanz für die Tauglichkeit neuer Ideen fungieren, dann muss es möglichst perspektivenreich aufgestellt sein. Und wenn es dort zur Kultur gehört, die eigene Kompetenz durch besondere Analyseschärfe unter Beweis zu stellen um die eigene Mitgliedschaft in diesem Kreis zu behaupten, dann wird es für Gäste eben mindestens sportlich.
Daran erkennst du ein sinnvolles Meeting.
Mit “sinnvollem Meeting” meine ich eins, das der unternehmerischen Zielerreichung hilft.
- Der Teilnehmerkreis passt zum Zweck: Es sind nur Leute drin, die beitragen oder betroffen sind. Der Rest wird asynchron über das Ergebnis informiert.
- Du – und alle anderen auch – hast ein echtes Interesse an dem Treffen, weil du die Abstimmung für die Zielerreichung brauchst.
- Du bist zuversichtlich, dass ihr dort Lösungen entwickeln und/oder tragfähige Entscheidungen treffen könnt.
- Du hast keine Bauchschmerzen, weil du nicht befürchten musst, vorgeführt zu werden oder einen schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen.
Für diese Erkennungsmerkmale genügt meist schon ein Blick in deinen Kalender. Meine These ist hier: Ist ein Meeting an sich sinnvoll, herrscht auch genug Disziplin, es zielführend zu gestalten – so dass der Bedarf für viele Meetingregeln entfällt.
Die wahren Hebel für die Meeting-Effizienz liegen außerhalb von Meetings.
Bevor du also die nächste Time-Box verkürzt oder eine neue Agenda-Schablone einführst, lohnt sich ein Schritt zurück: Was können Timo und Kolleg*innen also tun, um weniger Arbeitszeit in Meetings zu verbringen?
- Information von Austausch von Entscheidung trennen.
Niemand muss sich heute mehr treffen, um sich informiert zu halten. - Mit OKRs arbeiten.
Ziele transparent aufeinander abstimmen, Zielkonflikte auflösen und Verantwortlichkeiten klären. Wenn klar ist, wer bis wann welchen Beitrag zum Gesamt-Outcome leistet, erübrigen sich viele Synchronisierungs-Meetings. - Schnittstellen analysieren.
Schaut euch an, wie Abteilungen oder Teams zusammenarbeiten und ob beide Seiten ähnlich viel für ein gutes Ergebnis tun müssen. Oft ist das nicht der Fall: Ein Bereich liefert zu, der andere empfängt etwas & an diesen Stellen gibt es Frust. Hier lohnt es sich, den Prozess gerade zu rücken. - Rollen klären.
Wer welche Aufgaben übernimmt, wer informiert werden will und muss, wer Ergebnisverantwortung hat – all das wird gern in Formalien wie RACI Charts festgehalten. Wenn du allerdings herausfinden willst, ob es noch Klärungsbedarf in der Rollenverteilung gibt: Fragt gegenseitig nach den Erwartungen an die Rollen und schaut, wo sich Lücken auftun.
Wenn das geschafft ist, könnt ihr die Meetings an sich verbessern.
Setzt ihr an diesen Hebeln an, reduziert ihr nicht nur die Zahl der Meetings, sondern erhöht vor allem die Wirkung derjenigen, die bleiben. Und sollte sich dort der Schlendrian einschleichen, hilft vor allem eine gute Moderation.